Es ist eigentlich ein Klischee: Ein betagter Herr mit langem Bart, weißem Haar sitzt pfeiferauchend in seinem Ohrensessel, auf den Knien ein dickes Buch. Um ihn versammelt sitzen, hocken, lümmeln und drängen Kinder, die mit neugierig aufgerissenen Augen lauschen – einem Märchen zuhören.
Zum Lümmeln, Liegen, Lesen und noch viel mehr
Ohrensessel sind eine feine Sache, denn sie sind wirklich bequem. Genau das gibt ihnen ja ihr charakteristisches, oft belächeltes Aussehen: Die Ohren und die hohe Rückenlehne lassen alles zu. Vom seitlichen Kopfanlehnen bis zum Schlafen im Sitzen, vom Querliegen über normales Sitzen bis hin zum Liegen auf der Sitzfläche mit nach oben gestreckten Beinen – die dank der Ohren seitlich nicht wegkippen können. Die Sessel sind in Sachen rückenfreundliches Chillen einfach unschlagbar, und das wusste auch schon Opa, der sich einen Fußhocker davor stellte.
Den passenden Hocker gibt es heute wieder, und dank neuer, luftiger und jugendlicher wirkender Designs hat es der Ohrensessel aus dem Wohnzimmer heraus in das Lesezimmer, das Jugendzimmer, das Ankleide- oder Schlafzimmer und sogar in den Wintergarten geschafft.
Zu groß, zu hoch, zu massiv für modernes Wohnen?
Mitnichten! Ohrensessel passen natürlich nicht wirklich in ein minimalistisch eingerichtetes Wohn- und Lesezimmer, das mit Naturholzregalen, Designersitzen und in der Decke versenken LED-Lampen auskommt. Sollen sie auch gar nicht, denn der minimalistische Lebensstil ist nicht eben für seine Gemütlichkeit bekannt. Ohrensessel sind es dagegen schon.
Möbeldesigner haben den Trend erkannt und entwerfen wieder vermehrt hochlehnige, bequeme Sitzmöbel mit viel Retro in Form, Musterung und Farben. Brokatbezüge, blumengemusterte farbenfrohe Polster und die passenden Kissen dazu sind selbstverständlich. Die Sessel sind in ihrer zeitgenössischen Ausführung meist etwas schlanker, oft knapp über der Sitzfläche leicht tailliert, und vor allem nicht mehr so hoch. Anstelle des massiven Eichenholzes vergangener Jahrhunderte verwenden die Möbelbauer leichtere Hölzer, und die Stahlfedern der Polster sind leichten Kunststofffüllungen gewichen.
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Zugeständnisse an skandinavisches Design und postmodernen Purismus
Wem Blumen, Brokat und Farbenmix zu weit gehen, der findet eine Art moderne Adaption des Ohrensessels. Es gibt die bequemen Sitzmöbel derzeit auch in schlichten, gedeckten Farben, die edel wirken. Elegantes weißes Baumwollsatin, schlichtes beiges Leder und sogar silbergraue, mit Webmustern versehen Bezüge lassen den Ohrensessel mit halbhoher Lehne und fein geschnitzten Holzfüßen sehr modern wirken. So ein hell gehaltener, dezenter Sessel passt dann auch in einen modern eingerichteten Raum und wirkt so gar nicht mehr wie der Ohrensessel des Märchenopas.
Restauratoren können übrigens originale Sessel aus dem Besitz von Groß- oder Urgroßeltern durchaus „pimpen“. Die Sessel werden abgezogen, gereinigt, sichtbare Holzteile werden abgeschliffen und gebeizt, die Polsterung wird, wo nötig, überarbeitet, und ein neuer Bezug wird genäht. Das ist viel Arbeit, die größtenteils von Hand erledigt wird, und das hat seinen Preis. Das Möbelstück, das nach mehreren Arbeitstagen dann in der Werkstatt steht, hat mit dem Original außer dem Rahmen meist nicht mehr viel gemeinsam. Dennoch lohnt sich der Aufwand:
Neu bezogene und aufgewertete Polstermöbel sind immer auch ein Statement in Sachen Umweltschutz.
Den Dachboden durchsuchen oder auf dem Flohmarkt auf die Jagd gehen
Märchenhafte Ohrensessel findet man längst nicht mehr nur verstaubt auf Omas Dachboden und auf dem Flohmarkt, sondern zunehmend wieder in den Möbelhäusern. Sie erleben gerade ein Revival und können sich dank neuer Designs, moderner Bezüge und teilweise recht leichter, eleganter Bauweise durchaus sehen lassen.
Der Ohrensessel hat es geschafft: Er hat den Sprung aus der Zeit der schweren, Jahrhunderte überdauernden Möbel in die heutige, mobile Zeit geschafft, ist umzugsfähig und transportfähig geworden dank leichterer Materialien und schlankerer Bauart.
Hier weiterlesen: Sitzsäcke – Alternativen zu Sesseln?
Bildquellen:
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Klaus Peters
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